Zu Bachs Zeiten stand das Bild vom Hirten und seiner Herde in hohem Kurs. Es war ein Gegenbild zum absolutistischen Herrschaftsanspruch der Fürsten und Könige des 18. Jahrhunderts. Der Hirte ist nicht auf die Erhaltung der Macht, sondern auf das Wohl der ihm Anvertrauten konzentriert. Dem entsprechend wurden biblische Texte, die sich dieses Bildes bedienten, gern gelesen, gepredigt und vertont. Am zweiten Sonntag nach Ostern 1724 gehörte zur Liturgie der Text aus dem Johannesevangelium, in welchem Jesus sagt: «Ich bin der gute Hirte.» Und der Episteltext aus 2. Petrus
25 lautet: «Ihr hattet euch verirrt wie Schafe, jetzt aber seid ihr heimgekehrt zum Hirten und Bischof eurer Seelen». Die emanzipatorischen Bestrebungen der Aufklärung haben den Fokus von der Güte des Hirten auf die (scheinbare) Einfalt der Schafe gelenkt. Aber das ist eine Verzerrung des Bildes, das Bach in seiner Kantate entfaltet.
Von 1772 bis 1781 stand Mozart – mit einer Unterbrechung – im Dienste des Fürsterzbischofs von Salzburg, zuerst als Kapellmeister, dann als Domorganist. Das Verhältnis zwischen dem der Aufklärung nahestehenden, pragmatisch und effizient regierenden Graf Coloredo und dem genialen, noch kaum erwachsenen Musiker war oft angespannt und endete 1781 mit dem Hinauswurf Mozarts und seiner Übersiedlung nach Wien. Die vorliegende Missa solemnis in C ist die letzte Vertonung des Messetextes durch Mozart. In Wien hat er praktisch keine geistliche Musik mehr geschrieben, ausser der grossen Messe in c-moll und dem Requiem, die er beide nicht vollendet hat. Die Messe war offensichtlich für das Osterfest 1780 bestimmt (nachdem ein Jahr vorher diejenige Messe erstmals aufgeführt wurde, die später als «Krönungsmesse» bekannt wurde). Die Bezeichnung «solemnis» (festlich) bezieht sich auf die verwendeten Instrumente. Während viele seiner Salzburger Messen mit dem Sogenannten «Salzburger-Trio» auskommen (Violinen, Bass und Orgel), benötigt dieses Werk 2 Oboen, die Streicher, 2 Fagotte, 2 Trompeten und Pauken. Zur Unterstützung von Alt, Tenor und Bass sind im Original auch noch drei Posaunen vorgesehen. Die Länge ist der Weisung des Fürsterzbischofs angepasst, dass eine Messfeier als Ganzes nicht länger als 45 Minuten dauern soll. Textlich hält sich Mozart akribisch an die Liturgie.